In seinem Buch „Die ohnmächtige Supermacht“
analysiert Michael Mann die zentralen Fragen der us-amerikanischen Außenpolitik
mit Hilfe der Kategorien Hegemonie und Imperium. Hegemonie ist für ihn eine
regelgebundene Form der Vorherrschaft – im Unterschied zum Imperium, bei dem
die dominierende Macht sich an keinerlei Regeln gebunden fühlt: „Die Amerikaner
müssen sich entscheiden, ob sie die Hegemonie wollen und sich dann an die
Regeln halten. Doch wenn sie das Empire wollen und damit scheitern, werden sie
auch die Hegemonie verlieren. Die Welt würde das wenig kümmern.“
"Die Amerikaner müssen sich entscheiden, ob sie die Hegemonie oder das Empire wollen!" |
Demgegenüber bezweifeln andere Politologen
wie Chalmers Johnson, dass zwischen Imperium und Hegemonie ein substantieller
Unterschied besteht. Er geht vielmehr davon aus, dass die Verwendung der
Begriffe Teil einer rhetorischen Strategie ist, durch die eine reale
Machtausübung in ein helleres Licht oder in den Schatten gestellt werden soll. „Hegemonie“
wäre danach nur eine euphemistische Variante für „Imperium“.
Es war wohl der deutsche Rechtshistoriker
Heinrich Triepel, der wie kein anderer in seinem großen Werk „Die Hegemonie“
(1938) über das Verhältnis von Imperialität und Hegemonie nachgedacht hat.
Carl Heinrich Triepel (1886 - 1946) |
Auch Triepel hält eine kategorische
Unterscheidung zwischen Imperium und Hegemonie für zweifelhaft. Hegemonie sei
lediglich „eine der Formen, in denen sich imperialistische Politik auszudrücken
vermag“. Ihr Charakteristikum bestehe in einer „Selbstbändigung der Macht“.
Triepel beobachtete gleichwohl, dass sich im
Verlauf der Jahrhunderte eine Tendenz zur größeren Respektierung der
Selbständigkeit jener Gebiete durchgesetzt habe, die unter der Herrschaft der
imperialen Macht stehen, ihr selbst aber nicht angehören. Er bezeichnete diese Tendenz
als das „Gesetz der abnehmenden Gewalt.“
Was Triepel damit aussagen wollte, war die
Tatsache, Imperialität in einem Prozess der „Selbstbändigung der Macht“
inzwischen überwiegend die Gestalt von Hegemonie angenommen habe. „Man darf
ruhig behaupten, daß in der Politik des modernen Imperialismus der Erwerb von
Hegemonie mehr und mehr die typische Form der Machterweiterung geworden ist.“
Für Triepel treffen Imperium und Hegemonie
dort zusammen, „wo der Imperialismus bewusst auf Inkorporation fremder Länder
in das Gefüge eines alten Staates verzichtet. Sie können sich dort, sie müssen
sich nicht begegnen.“
Insbesondere dort, wo föderative Elemente den
Prozess der Bildung von Imperien prägen, lässt sich eine Tendenz zur Umwandlung
imperialer in hegemoniale Politik beobachten. Aber er bezweifelte auch, dass
sie sich immer und überall durchsetzen werde – was wohl zum Zeitpunkt der
Niederschrift seines Buches Mitte der 30er Jahre des 20. Jahrhundert eine mehr
als angebrachte Vorsicht war.
Bei seiner Suche nach den Anfängen der Hegemonie
„als einer durch gesteigerte Selbstbindung gekennzeichneten Form imperialer
Herrschaft“ stieß Triepel auf die antiken griechischen Historiker, die sich mit
Entstehung und Scheitern des athenischen (See-)Imperiums beschäftigt haben. Schon
bei ihnen ist ein ein abgestufter Gebrauch der Begriffe ἀρχή (arché) und δύναμις
(dýnamis) einerseits sowie ἡγεμονία (hegemonía) andererseits zu beobachten:
Danach bezeichnen „arché“ – und häufig auch „dýnamis“ - in einem starken Sinn
Machtbeziehungen, die Triepel mit dem Begriff der „Herrschaft“ wiedergibt.
Dagegen ist mit „hegemonía“ eine schwächere Machtbeziehung gemeint, die Triepel
mit „Vorherrschaft“ übersetzt.
Der Attisch-Delische Seebund: Ein Imperium Athens |
Triepels Beobachtungen werden auch von Michael
Doyle bestätigt, der in seiner vergleichenden Untersuchung von Imperien
Unterschiede zwischen der athenischen und der spartanischen Bündnispolitik im
5. vorchristlichen Jahrhundert beschrieben und anschließend eine kategoriale
Unterscheidung zwischen Imperium und Hegemonie entwickelt hat:
„Während es sich bei dem von Athen
dominierten Delisch-Attischen Seebund um ein Imperium gehandelt habe, sei der
Peloponnesische Bund mit Sparta als führender Macht eine Hegemonie gewesen.
Diese ist für Doyle dadurch gekennzeichnet, dass sie ihren Dominanzanspruch
allein auf die „Außenpolitik“ der Bündnispartner beschränkt und von Eingriffen
in deren innere Entwicklung absieht: Weder die politische noch die
wirtschaftliche Ordnung, weder Verfassungsfragen noch die Regulierung von
Märkten werden von ihr beeinflusst, geschweige denn unter Verweis auf den
eigenen Führungsanspruch verändert.“
Eine solche Selbstbeschränkung ist Doyle
zufolge in einem Imperium nicht anzutreffen. „Für imperiale Herrschaft sei
vielmehr charakteristisch, dass sie keine klaren Grenzziehungen zwischen Innen
und Außen kenne und sich demzufolge permanent in die inneren Angelegenheiten
der Bündnispartner einmische.“ Genau das habe auch den Unterschied zwischen
Athen und Sparta ausgemacht:
„Sparta beschränkte sich darauf, die Außenbeziehungen
der Bündner unter Kontrolle zu halten und dafür zu sorgen, dass der
Peloponnesische Bund gegenüber den beiden anderen großen Mächten des ägäischen
Raumes, den Persern und den Athenern, eine einheitliche Position bezog; Athen
dagegen habe ständig in die Angelegenheiten seiner Bündnispartner eingegriffen:
Es achtete darauf, dass die demokratische Partei die Oberhand behielt, zog
Gerichtsverfahren an sich, bei denen es um die Verhängung der Todesstrafe ging,
setzte eine einheitliche Währung im Bündnisgebiet durch und nötigte schließlich
die Bündnerstädte zur Abtretung von Land, auf dem athenische Kolonisten
angesiedelt wurden.“
Spartanische Hopliten |
Offenbar war man in Athen der Auffassung, man
könne sich nur dann auf die Bundesgenossen verlassen, wenn man sie unter entsprechender
Kontrolle habe. „Und natürlich wollte die athenische Bürgerschaft von der Last
des Seebundes auch profitieren. Mit dem Verweis auf langfristige Interessen
waren in der Volksversammlung keine sicheren Mehrheiten zu gewinnen; das war
nur durch den Aufweis kurzfristiger Vorteile möglich. Für Doyle ist die
spartanische Aristokratie zu einer hegemonialen Politik in der Lage gewesen,
während die athenische Demokratie einen notorischen Hang zum Imperium hatte.“
So wird man sagen müssen, „dass die Hegemonie
die einzige Form war, in der Sparta, in politischen wie sozialen Fragen
grundsätzlich konservativ eingestellt, das Bündnis organisieren konnte. Dagegen
musste Athen, wo der Ausbau des Bündnisses mit der Entwicklung der radikalen
Demokratie im Innern Hand in Hand ging, die Dynamik der eigenen Entwicklung in
die Bündnisstrukturen weiterleiten und so im gesamten ägäischen Raum einen Prozess
in Gang setzen, der auf eine dramatische Umwälzung der sozioökonomischen
Strukturen hinauslief.“
Im Anschluss an die Überlegungen von Triepel
spricht Doyle also dann von einem Imperium, „wenn ein Beziehungsgeflecht
zwischen einem Zentrum und einer Peripherie besteht, die in Form von
staatenübergreifenden Sozialstrukturen verbunden sind. Bei einer Hegemonie
dagegen handle es sich um ein Beziehungssystem zwischen Zentren, von denen
eines deutlich stärker als die anderen ist.“
Imperium = ein Beziehungsgeflecht zwischen einem Zentrum und einer Peripherie, die in Form von staatenübergreifenden Sozialstrukturen verbunden sind |
Ob also eine politische Ordnung als imperial
oder hegemonial zu klassifizieren ist, hängt dann nicht nur vom
sozioökonomischen Entwicklungsstand, sondern auch und vor allem von der relativen
politischen Stärke der nachgeordneten Bündnispartner und Mächte ab. „Ist der
Abstand erheblich und wird er womöglich durch die Dynamik des Zentrums noch
vergrößert, so ist eine „Imperialisierung“ der Dominanzstrukturen die
zwangsläufige Folge.
Gleichwohl ebenso entscheidend wie das
Machtgefälle zwischen den Bündnispartnern ist für die Herausbildung einer
Hegemonie aber der Umstand, dass die nachgeordneten Mächte kein Interesse daran
haben beziehungsweise keine Anstrengungen unternehmen, die aktuelle
Hegemonialmacht zu verdrängen und selbst deren Position einzunehmen. Nur wenn
die Hegemonialmacht davon ausgehen kann, wird sie es bei einem bloßen
Vorherrschaftsanspruch belassen und nicht versuchen, die hegemonialen in
imperiale Verhältnisse zu verwandeln.
Für die Frage, ob die USA nun ein Imperium
oder ein Hegemon sind, heißt das zunächst, dass der Unterschied zwischen beidem
sehr viel fließender ist, als oft angenommen. „Wird Imperialität allein an der
Einmischung in die inneren Angelegenheiten der kleineren Staaten festgemacht,
während der Hegemon an deren innerer Ordnung nicht wesentlich interessiert sei,
so sind die USA, seitdem sie unter Präsident Carter zu einer offensiven
Menschenrechtspolitik übergegangen sind, ein Imperium, während sie zuvor, als
sie auch Militärdiktaturen in der Nato duldeten, ein Hegemon waren. Damit ist
freilich die Wertehierarchie zwischen beiden Begriffen auf den Kopf gestellt.“
Daher schlägt Herfried Münkler in seinem Buch
„Imperien - Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten
Staaten“ vor, beide Begriffe „ganz wertfrei zu verwenden und damit
unterschiedliche Kräfteverhältnisse zwischen den Angehörigen einer politischen
Ordnung zu bezeichnen: Hegemon ist dann der Erste unter tendenziell Gleichen,
wobei wichtig ist, dass sich die Gleichheit nicht auf Rechte und Pflichten
beschränkt, sondern auch tatsächliche Fähigkeiten und Leistungen erfasst. Von
Imperien soll dagegen gesprochen werden, wenn das Machtgefälle zwischen der
Zentralmacht und den anderen Angehörigen der politischen Ordnung so groß
geworden ist, dass es auch durch Gleichheitsfiktionen nicht mehr überbrückt
werden kann.“
Die Frage ist bloß, um welche Art von Macht
es geht: um ökonomische, kulturelle, politische oder militärische Macht. Und
weil dies alles selten in derselben Rechnung aufgeht, wird kaum je Einmütigkeit
darüber bestehen, ob eine Ordnung nun eher imperial oder hegemonial zu denken
und weiterzuentwickeln sei.
Zitate aus: Herfried Münkler: Imperien: Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 2005 (rowohlt) - Weitere Literatur: Heinrich Triepel: Die Hegemonie. Ein Buch von führenden Staaten, Stuttgart 1938 (Kohlhammer) - Michael Mann: Die ohnmächtige Supermacht – Warum die USA nicht die Welt regieren können, Frankfurt a.M. 2003 (Campus) - Michael W. Doyle: Empires, 1986 (Cornell University Press), online bei google books
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