In dem Buch „Ein Gott, der keiner war“ (Erstauflage 1950) beschreibt Arthur Koestler – zusammen mit fünf weiteren Intellektuellen - die Fahrt in den Kommunismus und die Rückkehr aus ihm. Gemeinsam ist ihrem Zeugnis, dass alle den Kommunismus anfänglich als eine Vision des Reiches Gottes auf Erden sahen, „bis jeder von ihnen die Kluft entdeckte, die zwischen seiner eigenen Vision von Gott und der Wirklichkeit des kommunistischen Staates klaffte – und der Gewissenskonflikt erreichte seinen kritischen Punkt.“
Zwischen 1932 und 1933 bereiste Koestler die Sowjetunion. Koestler nahm natürlich die katastrophalen Zustände in der Sowjetunion
wahr - es herrschte gerade eine Hungersnot, die Millionen von Opfern
forderte -, aber er blieb dennoch dem Kommunismus verbunden, da er die Verhältnisse, die er beobachtete, noch als unvermeidliche
„Nachwehen“ der Revolution ansah und auf eine Verbesserung hoffte.
Arthur Koestler (1905 - 1983) |
„Mein Aufenthalt in der Sowjetunion dauerte ein Jahr. Was ich
sah und erlebte, war für mich ein harter Schock – aber gleichsam ein Schock mit
Zeitzündung. Meine Parteierziehung hatte mich mit so kunstvollen geistigen Stoßdämpfern
und dialektischen Wattepolstern ausgestattet, daß alles Gesehene und Gehörte sich
automatisch in den vorgefaßten Rahmen fügte.
Ich sah die Hungerrationen in den Kooperativen und erfuhr, daß
der Preis für ein Kilogramm Butter auf dem Freien Markt dem Monatslohn eines durchschnittlichen
Arbeiters, und der Preis für ein Paar Schuhe zwei Monatslöhnen entsprach. Aber ich
hatte gelernt, daß Tatsachen nicht nach ihrem Nennwert zu beurteilen sind und daß
man die Dinge nicht statisch, sondern im dynamischen Zusammenhang betrachten muß.
Der Lebensstandard war ohne Zweifel niedrig; aber unter dem zaristischen Regime
war er halt noch niedriger gewesen. Der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern
ging es zwar besser als in der Sowjetunion, aber das war eben ein statischer Vergleich;
denn hier in Sowjetrußland befand sich der Lebensstandard ja im Ansteigen, unter
dem Kapitalismus dagegen im Sinken.“
Koestler dachte sich, dass für den Weiterbestand der von einer feindlichen Welt umgebenen Sowjetunion diese Art von Propaganda eben eine unerläßliche Notwendigkeit sei: „Die notwendige Lüge und Verleumdung; die notwendige Einschüchterung der Massen zur Verhinderung kurzsichtiger Irrtümer; die notwendige Liquidierung aller Oppositionsgruppen und feindlichen Klassen; die notwendige Opferung einer ganzen Generation im Interesse der nächsten – all das mag ungeheuerlich klingen und war dennoch so leicht zu schlucken für den, der sich im Zustand der Gnade des absoluten Glaubens befand.“
Eigentlich hätte es nach seinen Erfahrungen in Russland nun schon
zum Bruch Koestlers mit dem Kommunismus kommen können, aber „eine Reihe von äußeren
Ereignissen und inneren Rationalisierungen erleichterte es mir, weiter mitzumachen,
und verzögerte den endgültigen Zusammenbruch meines Glaubens.
Das wichtigste dieser äußeren Ereignisse war der VII. Weltkongreß
der Komintern im Jahre 1934, der eine neue Politik, eine vollkommene Negation der
bisherigen Parteilinie einleitete – die jedoch wie immer durch dieselben Führer
in die Tat umgesetzt werden sollte. Alle revolutionären Schlagworte, alle Hinweise
auf den Klassenkampf und die Diktatur des Proletariats wurden mit einem gewaltigen
Schwung in die Rumpelkammer gekehrt. Ihre Stelle nahm eine nagelneue Fassade mit
Blumenkasten in den Fenstern ein, die `Volksfront gegen den Krieg und Faschismus´.
Das Podium des VII. Kongresses der Komintern mit den Portraits von Karl Marx, Friedrich Engels, Wladimir I. Lenin und Josef Stalin |
Wir nannten uns jetzt nicht mehr „Bolschewisten", nicht einmal Kommunisten – der öffentliche Gebrauch dieser Worte galt jetzt in der Partei als anrüchig; wir waren einfache, ehrliche, friedliebende Antifaschisten und Verteidiger der Demokratie.“
Koestler bemerkt, dass das wirksamste Mittel, um sein Gewissen
zu betäuben, darin besteht, sich selbstlos und von ganzer Seele einer Arbeit hinzugeben.
Die Missetaten des Sowjetregimes und des Kominternapparates traten in den Hintergrund
zurück, das einzige, worauf es nun ankam, war der Kampf gegen Hitler und den drohenden
Krieg. „Keiner von uns verstand, daß unsere Führer den Kampf nicht ernst meinten;
daß wir die Schatten in einem Scheingefecht waren.“
Und so verhält sich auch Koestler in dieser Situation so wie viele andere Intellektuelle auch:
„Die einzige dialektisch korrekte Haltung war, dabei zu bleiben, das Maul zu halten,
die Galle herunterzuschlucken und auf den Tag zu warten, an dem, nach der Niederwerfung
des Feindes und dem Sieg der Weltrevolution, Sowjetrußland und die Komintern bereit
waren, zu demokratischen Einrichtungen zu werden. Dann, und nur dann, würden die
Führer über ihre Handlungen Rechenschaft ablegen müssen: über die vermeidbaren Niederlagen,
die mutwilligen Opfer und die Fluten von Dreck und Verleumdung, unter denen die
Elite unserer Genossen umgekommen war. Bis zu jenem Tag hatte man das Spiel weiter
mitzumachen – ja sagen und widerrufen, ableugnen und denunzieren, ideologischen
Speichel lecken und kräftig schlucken, wenn es einem hochkam; dies war der Preis
für die Erlaubnis, sich weiter sozial nützlich zu fühlen und auf solche Art seine
pervertierte Selbstachtung zu bewahren.“
1937, während des Spanischen Bürgerkriegs, ging Koestler
als Kriegsberichterstatter
nach Spanien, wo er von
den Truppen Francos gefangengenommen und als Spion standrechtlich zum Tode verurteilt wurde.
Er war fünf Tage im Gefängnis von Málaga in Isolierhaft, während dieser Zeit wurden
dort fünftausend Menschen erschossen. Koestler wurde dann nach Sevilla verbracht.
Die Briten erreichten nach neunzig Tagen auf dem Wege eines Gefangenenaustauschs
seine Freilassung.
Schauprozess in Moskau (1936) |
Jeder einzelne von uns hat mindestens einen Freund, von dem er
weiß, daß er in einem Arbeitslager der Arktis umgekommen ist, als Spion erschossen
wurde oder spurlos verschwand. Wie erbebten doch unsere Stimmen vor gerechter Empörung,
wenn wir gelegentliche Haschläge der Justiz in den westlichen Demokratien aufzeigten,
und wie eisern hielten wir den Mund, wenn unsere Genossen auf dem sozialistischen
Sechstel der Erde ohne Verhandlung und Urteil liquidiert wurden. Jeder von uns schleppt
seine Toten in den Kellergewölben seines Gewissens herum; zusammenaddiert gibt es
da mehr Gerippe als in den Pariser Katakomben (…).
In keinem Jahrhundert und in keinem Lande sind so viele Revolutionäre
umgebracht oder zu Sklaven gemacht worden wie in Sowjetrußland. Und da ich selbst
sieben Jahre lang für alle Torheiten und Verbrechen, die unter dein Banner des Marxismus
begangen wurden, eine Ausrede zu finden wußte, ist für mich das Schauspiel dieser
dialektischen Seiltänze, mit deren Hilfe im Grunde anständige Leute ihr eigenes
Gewissen betrüge; noch entmutigender als die schlichte Barbarei der Armen im Geiste.
Wer die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten dieser Akrobatenkunststücke auf dem Seil
des Gewissens kennt, der weiß auch ungefähr, wie lange man darauf herumtanzen kann,
bis es reißt.“
Langsam war in Koestler die Erkenntnis gereift, „daß der Mensch
eine Realität ist und die Menschheit eine Abstraktion; daß man Menschen nicht als
Zahlen in einer politischen Gleichung behandeln kann, weil sie sich wie die Zeichen
für Null oder Unendlich verhalten, die alle mathematischen Berechnungen aus den
Fugen bringen; daß der Zweck die Mittel nur innerhalb sehr enger Grenzen heiligt;
daß die Ethik nicht nur eine Funktion sozialer Nützlichkeit ist und Nächstenliebe
kein kleinbürgerliches Sentiment, sondern die Gravitationskraft, die jede Zivilisation
zusammenhält. Nichts muß platter klingen, als wenn man ein Erlebnis, das sich schon
seiner Natur nach jedem sprachlichen Zugriff entziehen muß, in Worte zu fassen versucht;
und dennoch war jeder einzelne dieser trivialen Gemeinplätze unvereinbar mit dem
kommunistischen Glauben.“
Der Mensch ist eine Realität und die Menschheit eine Abstraktion |
Das Ende kam auf eine durchaus undramatische Art. Im Frühjahr 1938 hatte Koestler vor dem „Schutzverband Deutscher Schriftsteller in Paris" einen Vortrag über Spanien zu halten. Die Rede enthielt keinerlei direkte Kritik gegen die Partei oder gegen Sowjetrußland. Aber sie enthielt drei sorgfältig formulierte Sätze, die für normale Menschen Gemeinplätze waren, für Kommunisten einer Kriegserklärung gleichkamen. Der erste dieser Sätze lautete: „Es gibt keine Unfehlbarkeit einer Person, einer Bewegung, oder einer Partei." Der zweite hieß: „Toleranz dem Feinde gegenüber ist ebenso selbstmörderisch wie Intoleranz dem Freunde gegenüber, der dasselbe Ziel auf einem abweichenden Wege verfolgt." Der dritte Satz war ein Zitat von Thomas Mann: „Eine schädliche Wahrheit ist besser als eine nützliche Lüge."
„Damit war es geschehen. Als ich geendet hatte, applaudierte die nichtkommunistische Hälfte der Zuhörerschaft, während die Kommunisten – zum größten Teil mit untergeschlagenen Armen – in bedeutungsschwerem Schweigen verharrten (…) Einige Tage später erklärte ich dem Zentralkomitee schriftlich meinen Austritt aus der Partei (…)
Mein Schreiben war ein Abschiedsbrief an die KPD, die Komintern
und das Regime Djugaschwilis – aber es schloß mit einer Loyalitätserklärung an die
Sowjetunion. Dieser Schwebezustand dauerte für mich bis zu dem Tag, an dem zu Ehren
Ribbentrops die Hakenkreuzfahne auf dem Moskauer Flugplatz gehißt wurde und die
Kapelle der Roten Armee das Horst-Wessel-Lied anstimmte. Damit war es Schluß; von
nun an war es mir wirklich egal, ob mich die neuen Verbündeten Hitlers einen Konterrevolutionär
schimpften.“
Seine Abrechnung mit dem Kommunismus vollzog Koestler in dem
Buch Sonnenfinsternis, das 1940 in England erschien und ein
internationaler Bestseller wurde. Die Hauptfigur dieses Romans, inspiriert von alten
Bolschewiki wie Nikolai Bucharin und Karl Radek, die Opfer der Moskauer Prozesse wurden, personifiziert die willenlose Unterwerfung des Individuums unter
die mörderische politische Maschinerie des Totalitarismus.
„Wenn wir aber die Geschichte überblicken und die großen Ziele,
in deren Namen Revolutionen begonnen wurden, mit dem jämmerlichen Ende vergleichen,
das ihnen beschieden war, müssen wir immer wieder feststellen, daß eine korrupte
Gesellschaft auch ihre eigene revolutionäre Brut korrumpiert.“
Zitate aus: Ein Gott, der keiner war. Arthur Koestler, Ignazio Silone, Andre Gide, Louis Fischer, Richard Wright, Stephen Spender, schildern ihren Weg zum Kommunismus und ihre Abkehr. Mit einer Einführung von Prof. Wolfgang Leonhard und einem Vorwort von Richard Crossman, Erstauflage 1950) Zürich 2005 (Europa Verlag AG)
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