Donnerstag, 6. März 2014

Hannah Arendt und der Versuch, das Handeln durch das Herstellen zu ersetzen

Hannah Arendt

Im Jahre 1958 veröffentlichte Hannah Arendt ihr philosophisches Hauptwerk „Vita activa oder Vom tätigen Leben“, eine Theorie des politischen Handelns vor dem Hintergrund der Geschichte politischer Freiheit und selbstverantwortlicher aktiver Mitwirkung der Bürger am öffentlichen Leben.

Arendt zufolge habe jedes Individuum die Aufgabe, in Verbindung mit anderen Personen die Welt zu gestalten. Dabei stehen dem Menschen drei „Grundtätigkeiten“ zur Verfügung: Arbeiten, Herstellen und Handeln (griech. πόνος, ποίησις und πρãξις).

Während die Arbeit das „Am-Leben-Bleiben des Individuums und das Weiterleben der Gattung“ sichert, errichtet das Herstellen „eine künstliche Welt, die von der Sterblichkeit der sie Bewohnenden in gewissem Maße unabhängig ist und so ihrem flüchtigen Dasein so etwas wie Bestand und Dauer entgegenhält.“ 

Das Handeln – in enger Verbindung mit dem Sprechen - schließlich, „soweit es der Gründung und Erhaltung politischer Gemeinwesen dient, schafft die Bedingungen für eine Kontinuität der Generationen, für Erinnerung und damit für Geschichte“ (18).

Handeln und Sprechen finden im öffentlichen, im politischen Raum statt, denn sie „bewegen sich in dem Bereich, der zwischen Menschen qua Menschen liegt, sie richten sich unmittelbar an die Mitwelt, …wenn es sich um Dinge handelt, welche die Welt angehen, also den Zwischenraum, in dem Menschen sich bewegen und ihren jeweiligen, objektiv-weltlichen Interessen nachgehen. Diese Interessen sind im ursprünglichen Wortsinne das, was `inter-est´, was dazwischen liegt und die Bezüge herstellt, die Menschen miteinander verbinden und zugleich voneinander scheiden“ (224)

Arendt zufolge kam dies besonders klar und deutlich in der griechischen Polis zum Ausdruck. Hier zeigte sich, dass bevor das Handeln überhaupt beginnen konnte, ein begrenzter Raum fertig- und sichergestellt werden musste, „innerhalb dessen die Handelnden dann in Erscheinung treten konnten, der Raum des öffentlichen Bereichs der Polis, dessen innere Struktur das Gesetz war“ (244).

Unsterblicher Ruhm: Die Akropolis von der Pnyx aus gesehen (Foto: Paideia)

So bestand die Aufgabe der Polis im Hinblick auf das Handeln und Sprechen darin, Gelegenheiten herbeizuführen, „durch die man den `unsterblichen Ruhm´ erwerben konnte, bzw. die Chancen zu organisieren, unter denen ein jeder sich auszeichnen und in Wort oder Tat zur Schau stellen konnte, wer er in seiner einmaligen Verschiedenheit war“ (247).

Abschließend hält Arendt fest: „Die antike Einschätzung des Politischen wurzelt in der Überzeugung, dass die Einzigartigkeit des Menschen als solchen im Handeln und Sprechen in Erscheinung tritt und sich bestätigt, dass ferner diesen Tätigkeiten, trotz der ihnen eigenen Flüchtigkeit und materiellen Ungreifbarkeit, eine potentielle Unvergänglich eignet, weil sie sich von sich aus der andenkenden Erinnerung der Menschen einprägen“ (263). Daher ist für Arendt der öffentliche Raum in einem spezifischeren Sinn `das Werk des Menschen´ (Aristoteles) als es das Werk seiner Hände (Herstellen) oder die Arbeit seines Körpers (Arbeit) jemals sein können.

Arendt hat jedoch niemals ihre Augen vor der Tatsache verschlossen, dass die Tätigkeiten des Handelns und Sprechens, auf eine eitle Betriebsamkeit hinauslaufen können, dass also auch Politik nutzlos und unproduktiv sein kann.

In der langen Geschichte der Polemik gegen die Demokratie
Platon
hat es daher immer wieder Versuche gegeben, das Herstellen – in diesem Fall einer Herrschaftsordnung, die „ohne Politik“ auskommt - an die Stelle des Handelns zu setzen. Platons Staatsphilosophie steht für solch einen Versuch.

Bei Platon besteht der erste Schritt in diese Richtung darin, Öffentlichkeit überhaupt abzuschaffen und seine Zuflucht zur Monarchie – der Ein-Herrschaft – zu nehmen. Platons Vorschlag, einen Philosophen-König zur Herrschaft zu berufen, der dann mittels seiner „grenzenlosen Weisheit“ die praktischen Schwierigkeiten der Politik so auflöst, als handele es sich um Erkenntnisprobleme, ist gleichwohl eine deutlich tyrannische Spielart der monarchischen Lösung.

Denn nicht Grausamkeit, so Arendt, ist das „Merkmal der Tyrannis, sondern die Vernichtung des öffentlich politischen Bereichs, den der Tyrann aus Weisheit – weil er sich, und vermutlich sogar zu Recht, einbildet, es besser wissen – oder aus Machthunger für sich monopolisiert, dass er also darauf besteht, dass die Bürger sich um ihre Privatangelegenheiten kümmern und es ihm, dem Herrscher überlassen, sich der öffentlichen Geschäfte anzunehmen“ (280).

Im Werk „Der Staatsmann“ von Platon findet sich die theoretisch kürzeste Version der Bestrebungen, das Handeln durch Herstellen einer „Herrschaft der Besten“ zu ersetzen. Hier teilt Platon erstmals die Menschen in solche ein, die wissen und nicht tun, und solche, die tun und nicht wissen, was sie tun.

Diese Trennung von Wissen und Tun hat sich bis heute als Wurzel aller Herrschaftstheorien erhalten, denn Platon identifiziert Wissen mit Befehlen und Herrschen und Tun als Gehorchen und Vollstrecken von Befehlen.

Auch Platons Ideenlehre beeinflusst in hohem Maße den Versuch, das Handeln durch das Herstellen zu ersetzen, denn zwischen dem Gebrauch der Ideen als „Modelle des Herzustellenden und ihrem Gebrauch als Maßstäbe für praktisch-politisches Verhalten ist kein großer Unterschied“ (287).

Wird also die Konzeption der Ideen auf das Politische angewandt, dann scheint es, als könne der Philosophen-König auf Grund seiner Erfahrungen im Bereich der „Ideen“, die Mannigfaltigkeit menschlicher Taten und Worte mit der gleichen, „objektiven“ Gewissheit abmessen, beurteilen und ihnen Richtlinien vorschreiben, die dem Handwerker eigen ist, wenn er Gegenstände herstellt (288).

Die Polis ist für den Philosophen-König letztlich nichts anderes als die Statue für den Bildhauer.

Herstellen eines Herrschaftssystems: "Das Volk im Zukunftsstaat" (Illustration zu dem Buch "Der Zukunftsstaat" von Friedrich Eduard Bilz, 1904)

Es verwundert nicht, dass sich Platons Vorstellungen hervorragend für die Konstruktion politischer Utopien eignen. In all seinen Utopien geht es Platon daher vornehmlich um die technische Regelung und das mechanische Herstellen des menschlichen Zusammenlebens.

Diese Hoffnung, Handeln durch Herstellen ersetzen zu können, „und die ihr innewohnende Degradierung der Politik zu einem Mittel für die Erreichung eines höheren, jenseits des Politischen gelegenen Zweckes – im Altertum des Schutzes der Guten vor der Herrschaft der Schlechten im allgemeinen und des Schutzes der Philosophen für der Herrschaft des Mobs im speziellen, im Mittelalter des Seelenheils, in der Neuzeit der Produktivität und des Fortschritts der Gesellschaft – sind so alt wie die Tradition politischen Denkens“ (292)

Und dennoch verwundert es nicht, dass Platons  - aber nicht nur Platons - Utopien immer sofort an der Wirklichkeit scheitern – und eben nicht an äußeren Umständen und Bedingungen –  sondern „an der Realität des menschlichen Bezugsgewebes, das technisch nicht kontrollierbar ist“ (289).


Zitate aus: Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 2010 (piper)

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