Hannah Arendt |
Im Jahre 1958 veröffentlichte Hannah Arendt ihr philosophisches
Hauptwerk „Vita activa oder Vom tätigen Leben“, eine Theorie des politischen
Handelns vor dem Hintergrund der Geschichte politischer Freiheit und
selbstverantwortlicher aktiver Mitwirkung der Bürger am öffentlichen Leben.
Arendt zufolge habe jedes Individuum die
Aufgabe, in Verbindung mit anderen Personen die Welt zu gestalten. Dabei stehen
dem Menschen drei „Grundtätigkeiten“ zur Verfügung: Arbeiten, Herstellen und
Handeln (griech. πόνος, ποίησις und πρãξις).
Während die Arbeit das „Am-Leben-Bleiben des
Individuums und das Weiterleben der Gattung“ sichert, errichtet das Herstellen „eine künstliche Welt, die von der Sterblichkeit der sie Bewohnenden
in gewissem Maße unabhängig ist und so ihrem flüchtigen Dasein so etwas wie
Bestand und Dauer entgegenhält.“
Das Handeln – in enger Verbindung mit dem
Sprechen - schließlich,
„soweit es der Gründung und Erhaltung politischer Gemeinwesen dient, schafft
die Bedingungen für eine Kontinuität der Generationen, für Erinnerung und damit
für Geschichte“ (18).
Handeln und Sprechen finden im öffentlichen, im
politischen Raum statt, denn sie „bewegen sich in dem Bereich, der zwischen
Menschen qua Menschen liegt, sie richten sich unmittelbar an die Mitwelt, …wenn
es sich um Dinge handelt, welche die Welt angehen, also den Zwischenraum, in
dem Menschen sich bewegen und ihren jeweiligen, objektiv-weltlichen Interessen
nachgehen. Diese Interessen sind im ursprünglichen Wortsinne das, was
`inter-est´, was dazwischen liegt und die Bezüge herstellt, die Menschen
miteinander verbinden und zugleich voneinander scheiden“ (224)
Arendt zufolge kam dies besonders klar und
deutlich in der griechischen Polis zum Ausdruck. Hier zeigte sich, dass bevor
das Handeln überhaupt beginnen konnte, ein begrenzter Raum fertig- und
sichergestellt werden musste, „innerhalb dessen die Handelnden dann in
Erscheinung treten konnten, der Raum des öffentlichen Bereichs der Polis,
dessen innere Struktur das Gesetz war“ (244).
Unsterblicher Ruhm: Die Akropolis von der Pnyx aus gesehen (Foto: Paideia) |
So bestand die Aufgabe der Polis im Hinblick auf
das Handeln und Sprechen darin, Gelegenheiten herbeizuführen, „durch die man
den `unsterblichen Ruhm´ erwerben konnte, bzw. die Chancen zu organisieren,
unter denen ein jeder sich auszeichnen und in Wort oder Tat zur Schau stellen
konnte, wer er in seiner einmaligen Verschiedenheit war“ (247).
Abschließend hält Arendt fest: „Die antike
Einschätzung des Politischen wurzelt in der Überzeugung, dass die
Einzigartigkeit des Menschen als solchen im Handeln und Sprechen in Erscheinung
tritt und sich bestätigt, dass ferner diesen Tätigkeiten, trotz der ihnen
eigenen Flüchtigkeit und materiellen Ungreifbarkeit, eine potentielle
Unvergänglich eignet, weil sie sich von sich aus der andenkenden Erinnerung der
Menschen einprägen“ (263). Daher ist für Arendt der öffentliche Raum in einem
spezifischeren Sinn `das Werk des Menschen´ (Aristoteles) als es das Werk
seiner Hände (Herstellen) oder die Arbeit seines Körpers (Arbeit) jemals sein
können.
Arendt hat jedoch niemals ihre Augen vor der Tatsache
verschlossen, dass die Tätigkeiten des Handelns und Sprechens, auf eine eitle
Betriebsamkeit hinauslaufen können, dass also auch Politik nutzlos und
unproduktiv sein kann.
In der langen Geschichte der Polemik gegen die Demokratie
hat es daher immer wieder Versuche gegeben, das Herstellen – in diesem Fall
einer Herrschaftsordnung, die „ohne Politik“ auskommt - an die Stelle des
Handelns zu setzen. Platons Staatsphilosophie steht für solch einen Versuch.
Platon |
Bei Platon besteht der erste Schritt in diese Richtung
darin, Öffentlichkeit überhaupt abzuschaffen und seine Zuflucht zur Monarchie –
der Ein-Herrschaft – zu nehmen. Platons Vorschlag, einen Philosophen-König zur
Herrschaft zu berufen, der dann mittels seiner „grenzenlosen Weisheit“ die
praktischen Schwierigkeiten der Politik so auflöst, als handele es sich um
Erkenntnisprobleme, ist gleichwohl eine deutlich tyrannische Spielart der
monarchischen Lösung.
Denn nicht Grausamkeit, so Arendt, ist das „Merkmal der
Tyrannis, sondern die Vernichtung des öffentlich politischen Bereichs, den der
Tyrann aus Weisheit – weil er sich, und vermutlich sogar zu Recht, einbildet,
es besser wissen – oder aus Machthunger für sich monopolisiert, dass er also
darauf besteht, dass die Bürger sich um ihre Privatangelegenheiten kümmern und
es ihm, dem Herrscher überlassen, sich der öffentlichen Geschäfte anzunehmen“
(280).
Im Werk „Der Staatsmann“ von Platon findet sich die
theoretisch kürzeste Version der Bestrebungen, das Handeln durch Herstellen
einer „Herrschaft der Besten“ zu ersetzen. Hier teilt Platon erstmals die
Menschen in solche ein, die wissen und nicht tun, und solche, die tun und nicht
wissen, was sie tun.
Diese Trennung von Wissen und Tun hat sich bis heute als
Wurzel aller Herrschaftstheorien erhalten, denn Platon identifiziert Wissen mit
Befehlen und Herrschen und Tun als Gehorchen und Vollstrecken von Befehlen.
Auch Platons Ideenlehre beeinflusst in hohem Maße den
Versuch, das Handeln durch das Herstellen zu ersetzen, denn zwischen dem Gebrauch
der Ideen als „Modelle des Herzustellenden und ihrem Gebrauch als Maßstäbe für
praktisch-politisches Verhalten ist kein großer Unterschied“ (287).
Wird also die Konzeption der Ideen auf das Politische
angewandt, dann scheint es, als könne der Philosophen-König auf Grund seiner
Erfahrungen im Bereich der „Ideen“, die Mannigfaltigkeit menschlicher Taten und
Worte mit der gleichen, „objektiven“ Gewissheit abmessen, beurteilen und ihnen
Richtlinien vorschreiben, die dem Handwerker eigen ist, wenn er Gegenstände
herstellt (288).
Die Polis ist für den Philosophen-König letztlich nichts
anderes als die Statue für den Bildhauer.
Herstellen eines Herrschaftssystems: "Das Volk im Zukunftsstaat" (Illustration zu dem Buch "Der Zukunftsstaat" von Friedrich Eduard Bilz, 1904) |
Es verwundert nicht, dass sich Platons Vorstellungen
hervorragend für die Konstruktion politischer Utopien eignen. In all seinen
Utopien geht es Platon daher vornehmlich um die technische Regelung und das
mechanische Herstellen des menschlichen Zusammenlebens.
Diese Hoffnung, Handeln durch Herstellen ersetzen zu können,
„und die ihr innewohnende Degradierung der Politik zu einem Mittel für die
Erreichung eines höheren, jenseits des Politischen gelegenen Zweckes – im
Altertum des Schutzes der Guten vor der Herrschaft der Schlechten im
allgemeinen und des Schutzes der Philosophen für der Herrschaft des Mobs im
speziellen, im Mittelalter des Seelenheils, in der Neuzeit der Produktivität
und des Fortschritts der Gesellschaft – sind so alt wie die Tradition
politischen Denkens“ (292)
Und dennoch verwundert es nicht, dass Platons - aber nicht nur Platons - Utopien immer
sofort an der Wirklichkeit scheitern – und eben nicht an äußeren Umständen und
Bedingungen – sondern „an der Realität
des menschlichen Bezugsgewebes, das technisch nicht kontrollierbar ist“ (289).
Zitate aus: Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 2010 (piper)
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