Hannah Arendt (1906 - 1975) |
Im Jahre 1958 veröffentlichte
Hannah Arendt ihr philosophisches Hauptwerk „Vita activa oder Vom tätigen
Leben.“ Darin beschreibt sie nicht mehr und nicht weniger als eine Theorie
des politischen Handelns vor dem Hintergrund der Geschichte politischer
Freiheit und selbstverantwortlicher aktiver Mitwirkung der Bürger am
öffentlichen Leben.
Arendt zufolge habe jedes
Individuum die Aufgabe, in Verbindung mit anderen Personen die Welt zu
gestalten. Dabei stehen dem Menschen drei „Grundtätigkeiten“ zur Verfügung:
Arbeiten, Herstellen und Handeln (griech. πόνος, ποίησις und
πρãξις).
Während die Arbeit das „Am-Leben-Bleiben des Individuums und das Weiterleben der Gattung“ sichert,
errichtet das Herstellen „eine künstliche Welt, die von der Sterblichkeit der
sie Bewohnenden in gewissem Maße unabhängig ist und so ihrem flüchtigen Dasein
so etwas wie Bestand und Dauer entgegenhält.“
Das Handeln schließlich, „soweit
es der Gründung und Erhaltung politischer Gemeinwesen dient, schafft die
Bedingungen für eine Kontinuität der Generationen, für Erinnerung und damit für
Geschichte“ (18).
Zunächst jedoch ist für Hannah
Arendt grundlegend, dass die grundsätzliche Bedingung sowohl des Handelns als
auch des Sprechens das „Faktum menschlicher Pluralität“ ist, die sich auf
zweierlei Weise, „als Gleichheit und als Verschiedenheit“ (213), manifestiert.
Pluralität ist demnach eine „Vielheit, die die paradoxe Eigenschaft hat, dass
jedes ihrer Glieder in seiner Art einzigartig ist“ (214).
Das Faktum menschlicher Pluralität |
„Sprechen und Handeln sind gerade
deshalb wahrhaft menschliche Tätigkeiten, weil sich in ihnen die Pluralität und
auch die Einzigartigkeit des Menschen darstellt: „Sprechend und handelnd
unterscheiden Menschen sich aktiv voneinander, anstatt lediglich verschieden zu
sein; sie sind die Modi, in denen sich das Menschsein selbst offenbart“ (214).
Wenn Menschen sich sprechend und handelnd
in die Welt einschalten, dann „offenbaren sie jeweils, wer sie sind, zeigen
aktiv die personale Einzigartigkeit ihres Wesens, treten gleichsam auf die
Bühne der Welt, auf der sie vorher so nicht sichtbar waren“ (219).
Handeln und Sprechen im öffentlichen Raum |
Handeln und Sprechen finden im
öffentlichen, im politischen Raum statt, denn sie „bewegen sich in dem Bereich,
der zwischen Menschen qua Menschen liegt, sie richten sich unmittelbar an die
Mitwelt, …wenn es sich um Dinge handelt, welche die Welt angehen, also den
Zwischenraum, in dem Menschen sich bewegen und ihren jeweiligen, objektiv-weltlichen
Interessen nachgehen. Diese Interessen sind im ursprünglichen Wortsinne das,
was `inter-est´, was dazwischen liegt und die Bezüge herstellt, die Menschen
miteinander verbinden und zugleich voneinander scheiden“ (224)
Arendt zufolge kam dies besonders
klar und deutlich in der griechischen Polis zum Ausdruck. Hier zeigte sich,
dass bevor das Handeln überhaupt beginnen konnte, ein begrenzter Raum fertig-
und sichergestellt werden musste, „innerhalb dessen die Handelnden dann in
Erscheinung treten konnten, der Raum des öffentlichen Bereichs der Polis,
dessen innere Struktur das Gesetz war“ (244).
Dabei waren die Gesetze noch
nicht einmal „Erzeugnisse des Handelns“, sondern „Produkte des Herstellens“:
„Der Gesetzgeber und der Architekt gehörten in die gleiche Berufskategorie“,
denn so wie die Mauern die Stadt nach außen hin schützen sollten, so war es die
Funktion der Gesetze, diesen Schutz nach innen zu entfalten (ebd.).
Der „Inhalt des Politischen“
aber, also das, worum es in dem politischen Leben der Stadtstaaten selbst ging,
„war weder die Stadt noch das Gesetz – nicht Athen, sondern die Athener waren
die Polis“ (ebd.). Dementsprechend war die Möglichkeit des πολιτεύεσθαι,
das Recht, an den politischen Tätigkeiten der Bürger teilzunehmen, welche
innerhalb der Polis vor sich gingen, ausschließlich auf die Bürger der Stadt
beschränkt (ebd).
So bestand die Aufgabe der Polis
im Hinblick auf das Handeln und Sprechen darin, Gelegenheiten herbeizuführen, „durch
die man den `unsterblichen Ruhm´ erwerben konnte, bzw. die Chancen zu organisieren,
unter denen ein jeder sich auszeichnen und in Wort oder Tat zur Schau stellen
konnte, wer er in seiner einmaligen Verschiedenheit war“ (247).
In der von Thukydides
übermittelten eindrucksvollen Grabrede des Perikles kann man selbst nachlesen, was die Griechen damals dachten: „Dort heißt es, dass
die Polis denen, die Land und Meer zum Schauplatz ihrer Kühnheit gemacht haben,
garantiert, dass sie nicht vergeblich gelebt und gehandelt haben, daß sie weder
eine Homers noch anderer seiner Kunst bedürften, sondern ohne alle Hilfe `unvergängliche
Denkmäler´ hinterlassen werden von dem, was sie im Guten und Bösen an Erinnerungswürdigem
vollbrachten“ (248)
Für die Griechen war also der
politische Bereich nicht anderes als eine ewige Bühne, „auf der es
gewissermaßen nur ein Auftreten, aber kein Abtreten gibt, und dieser Bereich
entsteht direkt aus einem Miteinander, dem `mitteilenden Teilnehmen an Worten
und Taten´“ (249).
Zusammenfassend hält Arendt fest:
„Die antike Einschätzung des Politischen wurzelt in der Überzeugung, dass die
Einzigartigkeit des Menschen als solchen im Handeln und Sprechen in Erscheinung
tritt und sich bestätigt, dass ferner diesen Tätigkeiten, trotz der ihnen
eigenen Flüchtigkeit und materiellen Ungreifbarkeit, eine potentielle
Unvergänglich eignet, weil sie sich von sich aus der andenkenden Erinnerung der
Menschen einprägen“ (263).
Daher ist für Arendt das Handeln im öffentlichen, im politischen Raum in einem
spezifischeren Sinn `das Werk des Menschen´ als es das Werk
seiner Hände (Herstellen) oder die Arbeit seines Körpers (Arbeit) jemals sein
können.
Das Handeln als "Werk des Menschen" (Aristoteles) ist eben genau das, worum es in der Politik geht, denn hier geht es nicht um ein gegenständlich-greifbares Hergestelltes, sondern um eine Tätigkeit in ihrer reinen Aktualität - also jenseits der Zweck-Mittel-Kategorie.
Aus diesem Grund - und dies sollten sich die heutigen "Politiker" deutlich hinter die Ohren schreiben - sind die Tugenden oder ἀρεταί keine bloßen Eigenschaften, die man zweckgebunden mobilisieren oder nicht mobilisieren kann, sondern eben "eine `Trefflichkeit´, die überhaupt nur in der Aktualität des Vollzugs da ist" (262).
Zitate aus: Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 2010 (piper)
Aus diesem Grund - und dies sollten sich die heutigen "Politiker" deutlich hinter die Ohren schreiben - sind die Tugenden oder ἀρεταί keine bloßen Eigenschaften, die man zweckgebunden mobilisieren oder nicht mobilisieren kann, sondern eben "eine `Trefflichkeit´, die überhaupt nur in der Aktualität des Vollzugs da ist" (262).
Zitate aus: Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 2010 (piper)