Harald Welzer ist seit 2012 Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg. In einem Beitrag für den Südwestfunk erläutert Welzer Geschichte und Gegenwart der Kategorie "Autonomie".
Datenhungrig: NSA |
Heutzutage
sind es vor allem sehr mächtige und sehr datenhungrige Konzerne und Geheimdienste,
allen voran die amerikanische NSA, die buchstäblich alles sammeln, was Bürger
durch ihre Kommunikationen, aber vor allem durch ihren Konsum, ihre sozialen
Netzwerke und ihre Bewegung im Raum an Daten liefert.
Dabei
trifft die propagandistische Rhetorik, dass es diesen Unter-nehmen dabei vor
allem um die Erhöhung von Komfort, Klima- und Umweltschutz sowie Gesundheit
ginge, auf „ein großes gesellschaftliches Bereitschaftspotential. Die Versprechen,
dass das `Internet der Dinge´ Häuser energieeffizient und klimafreundlich oder
die Armbänder und Uhren zur Überwachung von Körperfunktionen die Menschen
gesünder machten, scheinen ja zunächst freundlich und harmlos. Zumal sie mit
einer Komfortsteigerung einhergehen und den Menschen allerlei lästige
Alltagsdinge abnehmen.“
Ein
Beispiel mag dies verdeutlichen: „Nest (...), ein Unternehmen, das Thermostate
entwickelt und für 3,2 Milliarden Dollar von Google gekauft wurde, arbeitet
intensiv an einem Smart Home, in dem die einzelnen technischen Elemente des
Hauses miteinander kommunizieren, die Gewohnheiten der Bewohner `lernen´ und
die Gerätefunktionen daran anpassen. Der Kühlschrank weiß dann, wann die Milch
voraussichtlich verbraucht sein wird und gibt automatisch die Bestellung für
neue auf, während Heizung und Klimaanlage die Informationen der
Wettervorhersage mit den Anwesenheitszeiten der Hausbewohner und ihren
Gesundheitsdaten verbinden und die Raumtemperatur entsprechend regulieren.
Mittlerweile greifen Smart Homes, Cars und Watches direkt auf die private Existenz zu ... |
Google
Now, ein Programm für Smartphones, überwacht den Aufenthaltsort der Bewohner
permanent und übermittelt die Daten ans smarte Zuhause, das die Jalousien also
länger geschlossen hält, wenn der Hausherr nach der Arbeit noch auf einen
Sprung ins Bordell geht.
Vermeintlich
dient der Aufwand vor allem dazu, Strom zu sparen. `Das sei,´ so ein Bericht in
der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, `schon das Ziel des Thermostats
gewesen, das im Netz die Wettervorhersage kontrollieren und die Raumtemperatur
nach den Außenbedingungen regeln kann. Mit der Vernetzung der Dinge reiche das
'Bewusstsein' des Temperaturreglers noch weiter. Nest arbeitet jetzt zum
Beispiel mit Mercedes zusammen und lässt deren Autos direkt mit der Heizung
kommunizieren. So kann der Wagen melden, dass man wegfährt, dass nicht mehr
geheizt werden muss, und angeben, wann man sich dem Haus wieder nähert. Die
Geräte sind so programmiert, dass sie aufzeichnen und auswerten, wer sie wie, wann
und wo benutzt.´
Man
könnte sagen: Nachdem sich über die vergangenen Jahrzehnte die Möglichkeiten
der Überwachung der öffentlichen Existenz der Menschen mittels Kameras,
Telefondaten, Kontobewegungen, Social Networks etc. stetig erweitert haben, greifen
Smart Homes, Cars und Watches nun direkt auf die private Existenz zu.“
Auf
der Beschreibungsebene kann man Welzer zufolge daher „von einer technisierten
Erhöhung des Selbstzwangniveaus sprechen. Gerade da, wo der `Geist stark, aber
das Fleisch schwach´ ist, wie etwa bei selbstschädigendem Konsum von Alkohol,
unterstützt die digitale Kontrolle die Durchsetzung des Selbstzwangs. Ein
besonders bemerkenswertes Moment dieser Erhöhung des Selbstzwangniveaus liegt
in der begleitenden Veränderung von Sozialverhält-nisses, die als normal und
erwartbar betrachtet werden:
Wenn die meisten Menschen in Smart Homes leben,
ihren Körperstatus kontrollieren und ihre Konsumbedürfnisse befriedigen lassen,
bevor sie selbst wissen, dass sie sie schon haben – was ist dann mit denen, die
das nicht machen? Gelten `Smartness´-Verweigerer als Klima- und Umweltfeinde
und um ihre Gesundheit datenmäßig Unbekümmerte als asozial?“
Die
verblüffende Bereitschaft, die Unterminierung des Privaten zuzulassen, „wird
durch ein argumentatives Quartett befördert, das Komfort, Sicherheit,
Gesundheit und Umweltschutz ins Feld führt und damit exakt die Bedürfnisse, die
auf der Skala der Bewohnerinnen und Bewohner reicher Gesellschaften weit oben
rangieren. Dabei nimmt das Maß an Fremdsteuerung zu und Autonomie im selben
Umfang ab.“
Wiedergewinnung eigener Urteilsfähigkeit ... |
Diese
vermeintliche Komforterhöhung durch Apps und Kontrollprogramme, die unablässig
Daten liefern, entmündigen letztlich diejenigen, die sie so bereitwillig
nutzen: „Die eigene Urteilsfähigkeit wird durch den Blick auf den Bildschirm
ersetzt, Informationen werden nicht mehr gesucht und angeeignet, sondern
geliefert, nichts Zufälliges widerfährt dem modern Vernetzten noch. Sogar sein
Schlaf wird überwacht und das aufmerksame Tracking-Armband weckt den Träumenden
genau in dem Moment, wo es das Programm für richtig hält.“
(Fortsetzung folgt)
Zitate aus: Harald Welzer: Autonomie gefordert! Über ein schwieriges Konzept der Demokratie Von Harald Welzer, SWR2 Wissen/Aula, Sendung vom 01. Mai 2017
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