In seinem kleinen Buch „Wieviel
Globalisierung verträgt der Mensch“ versucht Rüdiger Safranski, Freiräume für
ein Gleichgewicht und für Handlungsfähigkeit zu beschreiben, die es dem
Individuum möglich machen, in einer globalisierten Welt gut zu leben. In diesem
Zusammenhang spielt die Möglichkeit globaler Friedensstiftung eine fundamentale
Rolle.
Immanuel Kant (1724 - 1804) |
Auch für Kant ist die die Erde zunächst „eine
einzige Globalisierungsfalle, weil die Menschen auf ihr … sich nicht ins
Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander
dulden... müssen.“ Innerstaatlich habe man inzwischen eine gewisse Befriedung
erreicht, zwischenstaatlich und zwischen den Völkern herrscht aber immer noch
das Prinzip der Gewalt und des Krieges als ultima ratio.
Kant bemerkt, dass sich gerade im freien Verhältnis
der Völker die Bösartigkeit der menschlichen Natur immer noch unverhohlen blicken
lassen kann
Will man mittels der Vernunft etwas an diesem
Zustand ändern, dann, so Kant im Anschluss an Macchiavelli, müsse man vom
Menschen ausgehen, wie er ist, und eben nicht, wie er sein könnte. So müsse das
Eigeninteresse ebenso wie der Egoismus und der Wille zur Selbstbehauptung gewahrt
bleiben, wolle man einen besseren Zustand im Hinblick auf den Frieden in der
Welt konstruieren.
Iustitia und das Gewalt- monopol des Staates |
Die gewaltsame Unterwerfung verschiedener
Völker und Staaten unter eine Weltmacht - z. B. im Stile des Römischen Reiches
- ist eine unbefriedigende Möglichkeit, weil es sich um eine Befriedung durch
Unterwerfung handelt. Aber auch die hochkomplizierte Politik der Machtbalance schafft
keinen wirklichen Frieden, sondern sei nur ein aufgeschobener Kriegszustand.
Der einzige Weg, den zwischenstaatlichen Krieg
zu eliminieren wäre ein Weltstaat, in dem die zahlreichen Einzelstaaten aufgehen
müssten. Gäbe es nur noch eine Weltinnenpolitik gibt, ausgeführt und überwacht
von einer Zentralmacht, die mit einem globalen Gewaltmonopol ausgestattet ist,
dann wäre der Weg zum Weltfrieden endlich geebnet.
Kant aber – und das spricht für ihn und
seinen Realismus - hält einen solchen Weltstaat weder für möglich noch für
wünschenswert, denn ein zentralistischer Weltstaat stellt eine Bedrohung der Vielfalt
der Völker, ihrer Sprachen und Religionen dar. „Diese Vielfalt und Differenz
gehört zum Reichtum des Menschlichen. Kant gesteht zu, daß die Bewahrung von
Vielfalt und Differenz den Hang zum wechselseitigen Hasse, und Vorwand zum
Kriege bei sich führt. Dieser Tendenz sollte man jedoch nicht entgegenwirken,
indem man die differenten Kräfte schwächt, sondern indem man sie in ein System
des zivilen lebhaftesten Wetteifers überführt.“
Vielfalt und Differenz gehört zum Reichtum des Menschlichen |
Natürlich bleiben Risiken, aber man muß sie
eingehen - um der Freiheit willen. „Nicht wünschenswert jedenfalls ist ein Despotismus
des Friedens, der zum Kirchhof der Freiheit wird.“
Damit ist die wirklich beste Lösung für das
erreichen des Weltfriedens ein föderativer Weltstaatenbund. Jeder Staat behält
seine Souveränitätsrechte (auch das der Kriegsführung), verpflichtet sich
jedoch, alle Konflikte friedlich auf dem Verhandlungswege zu lösen. Eine
oberste Sanktionsgewalt, welche die Staaten dazu zwingen könnte, die freiwillig
eingegangene Verpflichtung einzuhalten, gibt es allerdings in Kants
Vorstellungswelt nicht.
So würde derjenige, der gegen gemeinsam
ausgehandelte Regeln verstößt, nicht von einer übergeordneten Instanz daran
gehindert werden können, „sondern nur von einer auf gleicher Ebene operierenden
Allianz, die auf die Einhaltung der Regeln notfalls gewaltsam drängt.“
Kants Fazit also lautet: Ein „homogenes, befriedetes
politisches Universum wird es nicht geben. Politisch bleibt die Welt ein
Pluriversum. Die elementaren Verfeindungsverhältnisse (der Naturzustand) können
zwischen den Staaten letztlich nicht überwunden, sondern allenfalls geregelt
werden.“
Herrschaft des Gesetzes statt Herrschaft einer Weltregierung |
Kant plädiert also für einen rigorosen
Formalismus des globalen Rechts. „Nur im Recht, nicht in der Existenz einer
möglicher-weise guten, wohlmeinenden Weltmacht, sieht er eine Chance für den
Weltfrieden, freilich nur eine Chance. Eine sichere Gewähr wird es nicht geben.
Weil es Mächte geben muß, wechselnde Mächte, Allianzen von Mächten, die bereit
sind, das Recht zu schützen, was nichts anderes bedeutet, als sich der Macht
des Gesetzes zu unterstellen. Das ist nicht wenig. … Ob es in der Geschichte
solche Mächte gibt, die das Recht schützen, hängt auch von
Zufallskonstellationen ab, vom Glück der Umstände.“
Für Kant gab es vor allem drei gesellschaftliche
Entwicklungen, die die Chancen auf einen globalen Frieden verbessern könnten.
Da ist erstens die demokratische Entwicklung:
Wenn – so Kant – es die Zustimmung der Staatsbürger erforderlich ist, um zu beschließen,
ob Krieg sein solle, oder nicht, so „ist nichts natürlicher, als daß, da sie
alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten,... sie sich
sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen.“ Es verwundert daher
nicht, dass sich für das 20. Jahrhundert tatsächlich nachweisen lässt, daß es
nicht die demokratischen Staaten waren, die die Kriege begonnen haben.
Zum zweiten gibt es die zivilisierende Kraft
des Welthandels, worauf auch Kant seine Hoffnung setzt. „Es ist der
Handelsgeist, der mit dem Krieg nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder
später sich jedes Volkes bemächtigt. Weil nämlich unter allen der Staatsmacht
untergeordneten Mächten die Geldmacht wohl die zuverlässigste sein möchte, so
sehen sich die Staaten... gedrungen, den edlen Frieden zu befördern.“
Drittens vertraut Kant der zunehmenden
Bedeutung der Öffentlichkeit, also dem Prinzip der Publizität. Würde man öffentlich
über politische Belange diskutieren, so müßte sich schließlich auch, dachte
Kant, der Krieg in der Arena der Argumente verteidigen.
„Publizität setzt den Krieg unter Rechtfertigungsdruck.“ |
So ist die politische Verfassung aus
Demokratie, Markt und Publizität für Kant „ein politisches Kunstwerk, in dessen
Rahmen der Einzelne ein guter Bürger sein kann, ohne doch zuvor zum guten
Menschen geläutert worden zu sein.“
Es sei letztlich alles eine Frage des
Verstandes, zu einem Friedenszustand zu gelangen. Dabei handelt es sich für
Kant gleichwohl um den Verstand der Selbsterhaltung.
Aber nun kommt Kant zum Herzstück seiner Vorstellungen
vom ewigen Frieden: Er will über den selbsterhaltenden Verstand hinaus eine
Vernunft begründen, die den Menschen dazu anleitet, sich friedensfähig in eine
Gemeinschaft einzufügen, „nicht weil er schwach ist und sich anpaßt, sondern
weil er über sich selbst herrschen, seinen Egoismus beherrschen kann.“
Erst solch eine Vernunft gilt Kant als
universell. Sie ist das Organ, mit dessen Hilfe der Einzelne sich als Glied
nicht nur eines Volkes und Staates, sondern der Menschheit begreifen kann. „Die
Vernunft entgrenzt.“ Der Einzelne, der seine Vernunft achtet und auf sie hört,
entdeckt und achtet damit zugleich die Menschheit in sich. Wer aber die „Menschheit“
in sich ehrt, überwindet das bloße Selbsterhaltungsinteresse und wird fähig
zur Solidarität. Diese Vernunft, so Kant, macht den Menschen zum Weltbürger. „Sie
ist der direkte Weg vom Ich zum Wir. So wird im Licht der Vernunft Versöhnung
möglich, und so kann das Zeitalter des Ausgleichs anbrechen.
Beginnt hier aber nicht die Vernunft von der
Vernunft zu träumen?
Zitate aus: Rüdiger Safranski:
Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch? Frankfurt a.M. 2004 (Fischer tb)
Danke für diesen interessanten Beitrag. Zum letzten Punkt: Man muss bedenken, dass Kant den Vernunftbegriff in einem sehr viel spezifischeren Sinne benutzte als es heutzutage üblich ist. Verstand ist bei ihm zum Beispiel etwas ganz anderes. Eine passende Definition kann ich aber mangels näherer Kenntnis seiner Philosophie auch nicht liefern.
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