Bertrand Russell |
In seinen „Unpopulären Betrachtungen“ widmet sich der
britische Philosoph und Mathematik auch den Ideen, „die der Menschheit
geschadet haben.“ Unter den „interessantesten und verhängnisvollsten Irrtümern“,
dem Menschen und ganze Völker erliegen können, findet sich die Idee, sich für
das besondere Werkzeug eines göttlichen Willens zu halten.
Es begann damit, dass sich die Israeliten beim Einfall in
das Gelobte Land als Vollstrecker des göttlichen Willens sahen – und nicht die
Hettiter, Girgaschiter, Amoriter, Kanaaniter, Perizziter, Hiviter oder
Jebbusiter. Hätten diese anderen Völker jedoch auch ähnlich „umfangreiche
Geschichtswerke verfasst, so hätte der Sachverhalt vielleicht ein wenig anders
ausgesehen.“
Dann entdeckten die Römer – freilich erst `nach begangener
Tat´ –, dass Rom von den Göttern zur Weltherrschaft bestimmt war.
Anschließend „kam der Islam mit seiner fanatischen
Überzeugung, dass jeder im Kampf für den wahren Glauben gefallene Soldat
schnurstracks ins Paradies eingehe, ein verheißungsvolleres Paradies als das
der Christen, da Houris anziehender sind als Harfen.“
Sterbender muslimischer Krieger - Französische Wandmalerei aus der Provence (Foto: picture alliance / akg-images) |
Cromwell schließlich war überzeugt, „dass er das von Gott
ausersehene Werkzeug seiner Gerechtigkeit zur Unterdrückung von Katholiken und
Königstreuen sei.“
Weitere Beispiele ließen sich anfügen ...
Zuletzt nun „liegt das Schwert der
göttlichen Vorsehung in den Händen der Marxisten. Hegel meinte, die Dialektik
habe mit schicksalhafter Notwendigkeit Deutschland die Oberherrschaft
verliehen. `Nein´, sprach Marx, `nicht Deutschland, sondern dem Proletariat´.
Diese Lehre ist den früheren vom Auserwählten Volk und der göttlichen Vorsehung
verwandt.“
Die Idee, sich für das besondere Werkzeug eines göttlichen
Willens zu halten, sieht in ihrem Fatalismus den Kampf gegen ihre Gegner als
einen Kampf gegen das Schicksal, und „fordert, der Kluge solle sich daher so
schnell wie möglich auf die Seite des Siegers schlagen. Deshalb ist dies
Argument politisch so gut zu gebrauchen.“
Der einzige, aber dafür umso schlagkräftigere Einwand gegen
diese Idee ist der, „dass es eine Einsicht in die Absichten Gottes voraussetzt,
die kein vernünftiger Mensch für sich beanspruchen kann.“
Das Problem, vor dem die selbsternannten Gotteskrieger
stehen, besteht schlicht und ergreifend darin, dass sie nur durch Berufung auf
den „göttlichen Willen“ die rücksichtslose Grausamkeit bei der Umsetzung dieses
Willens rechtfertigen können, die ansonsten verwerflich wäre, wenn ihr Programm
nur rein irdischen Ursprungs wäre.
Es ist daher gut, „Gott auf unserer Seite zu wissen, aber
einigermaßen verwirrend, den Feind vom Gegenteil genau so überzeugt zu finden.
Wie es in den unsterblichen Versen eines Dichters aus dem ersten Weltkrieg so
schön heißt:
Gott strafe England, und God save the King.
Gott dies und das – `Du lieber Gott«, sprach Gott,
»um Arbeit braucht mir nun nicht bange sein!´“
Russell zufolge ist der Glaube an eine göttliche Sendung eine
der vielen vermeintlichen Gewissheiten, die dem Menschengeschlecht geschadet
haben: „Ich glaube, eins der weisesten Worte, die jemals gesprochen wurden, war
die Mahnung Cromwells an die Schotten vor der Schlacht von Dunbar: `Ich beschwöre
euch um Christi Barmherzigkeit willen, denkt daran, dass ihr Unrecht haben
könntet!´ Aber die Schotten dachten nicht daran, und so musste er sie im Kampf
besiegen. Schade dass Cromwell diese Mahnung nie an sich selbst richtete.“
Die meisten und schlimmsten Übel, die der Mensch dem
Menschen zugefügt hat, entsprangen, so Russell, „dem felsenfesten Glauben an
die Richtigkeit falscher Überzeugungen. Die Wahrheit zu kennen ist schwieriger
als die meisten glauben, und mit rücksichtsloser Entschlossenheit zu handeln,
in dem Glauben, man habe die Wahrheit in Erbpacht, heißt Unheil
heraufbeschwören.“
"Die meisten und schlimmsten Übel, die der Mensch dem Menschen zugefügt hat, entsprangen dem felsenfesten Glauben an die Richtigkeit falscher Überzeugungen" - Gräberfeld des 1. Weltkrieges - |
Daher seien lange Überlegungen, dass man gegenwärtige
sichere Leiden zufügen müsse, um eines zweifelhaften zukünftigen Vorteils
teilhaftig zu werden, stets mit Argwohn zu betrachten, denn, wie Shakespeare
sagte, `Das Kommende ist noch ungewiss´.
Selbst
der Klügste gehe weit irre, wenn er auch nur auf zehn Jahre die Zukunft
vorhersagen will. „Im öffentlichen wie im Privatleben kommt es auf Toleranz und
Freundlichkeit an, nicht aber auf die Anmaßung einer übermenschlichen Gabe, in
die Zukunft zu schauen.“
Zitate
aus: Bertrand Russell: Unpopuläre
Betrachtungen, Zürich 2009 (Europa Verlag)