Friedrich Nietzsche |
Es war Friedrich Nietzsche, der als einer ersten Denker den negativen Mechanismus
der Zerstörung, des Massakers und der Vernichtung, welcher bei den Verfechtern
des Sozialismus, Kommunismus und Anarchismus so häufig zu beobachten ist, unerbittlich
analysiert hat.
Wie viele angebliche Menschenfreunde haben im Namen von
Fortschritt, Menschlichkeit oder Brüderlichkeit Gefängnisse gebaut, Guillotinen
aufgestellt, Revolutionstribunale eingesetzt und Köpfe rollen lassen? Nietzsche
war gegen diesen verbitterten Sozialismus, der von Rachsucht geleitet und damit
den negativen Leidenschaften und dem Todestrieb zuzuschlagen ist.
In seinem Werk „Menschliches, Allzumenschliches“ sah
Nietzsche eine völlig neue Form des Despotismus voraus, die auf die Vernichtung
der Individuen im Namen der Gemeinschaft, auf den Staat als Religion, auf den
cäsarischen und terroristischen Staat und auf die ideologische Verdummung der
Massen ausgerichtet ist. Nietzsches Prophezeiung stammt aus dem Jahr 1878.
Lenin war gerade acht Jahre alt.
Weiterhin erkannte Nietzsche den reaktionären Charakter einer
kommenden sozialistischen Revolution heraus, welche die Tyrannei, die sie abschaffen
will, selbst praktiziert.
Im Schatten von Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ... - Menschen im Gulag - |
Nach Nietzsches Ansicht beruhe dieser Sozialismus auf dem
kranken Denken von Revolutionären, die weniger nach einer freudigen, positiven
Macht strebten als vielmehr nach der negativen Befriedigung, alles zu
zerstören, was ihre Machtergreifung behinderte. Sie würden sich zwar vordergründig
auf Gerechtigkeit, Freiheit, Volkssouveränität, Gleichheit, Brüderlichkeit und
Bürgerrechte berufen, aber ihre hintergründigen und wirklichen Beweggründe sind
waren glühender Hass, jahrhundertelange Feindschaft und eine tiefe
Boshaftigkeit, die sie innerlich zerfrisst.
Natürlich war Nietzsche kein Vertreter linker Ideologie,
Nietzsche vertrat überhaupt keine Ideologie, er war ein ein Philosoph, dessen
Kritik an autoritären Strukturen sich aber gerade linke Geister genau anschauen
sollten.
So deckt Nietzsche die gebetsmühlenartig wiederholte linke Kritik
an den Lebens- und Arbeitsbedingungen als
doppelbödig auf, denn die „Sünde der Unterdrückung durch das kapitalistische Regime
werde in einem sozialistischen Regime nicht plötzlich zur Tugend! Vielmehr sei
der Preis von Produktivität und Wirtschaftswachstum der Nationen Werteverfall
und Selbstekel.“
Die Sozialisten riefen zwar zur Revolution, doch garantieren
sie nicht, dass mit ihrem Sieg auch das unwürdige Leben des Proletariats enden
würde. Daher fordert Nietzsche auf, nichts vor Ort zu zerstören, sondern
andernorts Neues zu schaffen: „Die Arbeiter in Europa sollten sich als Stand
fürderhin für eine Menschen-Unmöglichkeit, und nicht nur, wie meistens
geschieht, als etwas hart und unzweckmässig Eingerichtetes erklären; sie
sollten ein Zeitalter des grossen Ausschwärmens im europäischen Bienenstocke
heraufführen, wie dergleichen bisher noch nicht erlebt wurde, und, durch diese
That der Freizügigkeit im grossen Stil, gegen die Maschine, das Capital und die
jetzt ihnen drohende Wahl protestieren, entweder Sclave des Staates oder Sclave
einer Umsturz-Partei werden zu müssen.“
Albert Camus |
Auch Albert Camus war gewissermaßen das Gegenteil der
verbitterten Linken. Weder in seinem Werk noch in seinen Briefen findet sich an
irgendeiner Stelle ein Satz, der geprägt ist von negativen Leidenschaften.
Camus war kein Mensch der Ressentiments, sondern ein Mensch der Treue. Kein Leser
wird eine Stelle finden, an der er die Mächtigen verteufelt, in ihm war auch kein
Hass gegen den französischen Staat. Dass ihm das Elend vertraut war, bot ihm
keinen Grund, die Welt vernichten zu wollen. Der verbitterte Sozialismus ist ihm
zu dunkel und „thanatophil“.
Bei Camus ist, wie auch bei Nietzsche, die Kritik des
verbitterten Sozialismus keine Kritik am Sozialismus, sondern an der
Verbitterung. Nietzsche und Camus begegnen einander gewissermaßen „im
Sonnenlicht, unter dem klaren Himmel des Mittelmeerraums, und wenden sich gegen
die germanische, die europäische Schwere. Ihre Ablehnung des despotischen
Sozialismus ist eine Ablehnung des Despotismus, nicht des Sozialismus. Denn der
Sozialismus kann sich aus anderen Quellen speisen; er bedarf nicht der
schwarzen Wasser der Verbitterung. Bejahende Treue, dionysische Sorge und das
Leben unter der Sonne können ihm als Grundlage dienen. Camus liebte das Leben,
er wollte das Leben und wünschte, es für sich und andere reicher an
Möglichkeiten zu machen. Sein Kommunismus war diesem Wunsch ontologisch
eingeschrieben.“
Es liegt in der Natur des verbitterten Sozialismus, die Form
eines dionysischen Sozialismus zu zerstören, zu verbieten, in den Schmutz zu
ziehen. Seine zynische Logik folgt dem totalen Machiavellismus: „Wenn der Zweck
die Mittel heiligt, ist jedes Mittel Recht, um einen Sozialismus zu
diskreditieren, der sich durch und für – nicht aber: gegen – das Volk
verwirklicht.“
Die ideologischen Grabenkämpfe zwischen Marx und Proudhon im
Kontext der Ersten Internationale ist ein gutes Beispiel: „Mit Blick auf die
ideologische Führungsrolle innerhalb Europas ging der Autor von `Das Kapital´
ganz radikal vor, zunächst in ideologischer Hinsicht, später auch mit Angriffen
auf die Person selbst.
Ideologisch stellte Marx den wissenschaftlichen Sozialismus
– seinen eigenen – dem utopischen Sozialismus – dem aller anderen – gegenüber.
Der erste sei wissenschaftlich begründet und verkünde deshalb die Wahrheit über
die Geschichte, „die in ihrer Struktur von der Dialektik bestimmt sei, unausweichlich
auf die Revolution zustrebe, der selbstzerstörerischen Logik des Kapitals und
des Kapitalismus gehorche, auf eine proletarische Avantgarde angewiesen sei,
und so fort.“
Proudhon und Marx - Dionysischer und verbitterter Sozialismus |
Auch in menschlicher Hinsicht schreckte Marx vor nichts
zurück, um den Anarchismus zu diskreditieren. Der Großbürger Marx, der mit
einer Baronin verheiratet war und auf Kosten seines Freundes Engels lebte, der
ihn mit den Einnahmen aus den eigenen Fabriken unterstützte, beschimpfte den
Handwerker Proudhon als Kleinbürger!
Das 19. und 20. Jahrhundert standen unter der Fuchtel des
marxistischen Sozialismus. „Jede sozialistische Kritik an dieser Form des
Sozialismus wurde nicht als sozialistische oder linke, sondern als bürgerliche
oder kleinbürgerliche Kritik etikettiert. Wahlweise auch als reaktionär,
konservativ, faschistisch oder nazistisch, manchmal gar hitler-trotzkistisch
(!), jedenfalls immer als rechte Kritik.“
Albert Camus beschäftigte sich in seinem Buch „Der Mensch in der Revolte“ mit dieser bolschewistischen Rhetorik, die jedem, der kein
marxistischer Sozialist war, den Sozialismus als solches absprach.
Zitate aus: Michel Onfray: Im Namen der Freiheit.
Leben und Philosophie des Albert Camus, München 2013