Subsidiarität (lat.):
Rückhalt, Beistand,
Unterstützung, Hilfe
"... so muss doch
allzeit unverrückbar jener höchst gewichtige
sozialphilosophische Grundsatz
festgehalten werden, an dem nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: wie
dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen
Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit
zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die
kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen
können,
für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen;
zugleich ist solches überaus nachteilig und verwirrt die ganze
Gesellschaftsordnung.“
(aus der Enzyklika „Quadragesimo anno“; 1931)
Jeder Mensch besitzt Individualität, d.h. jeder hat sein
eigenes Aussehen, seinen besonderen Charakter und natürlich auch seine
speziellen Erbanlagen. Als Individuum unterscheidet sich der Mensch nun von allen
anderen Wesen dadurch, dass er nicht einfach nur da ist, also existiert,
sondern dass er sein Leben gestalten, das heißt nach Zielvorstellungen
ausrichten kann.
Aber der Mensch ist auch ein gesellschaftliches Wesen.
Nicht nur, dass der Mensch von Geburt an auf fremde Hilfe angewiesen ist,
vielmehr bietet ihm erst das Leben in Gesellschaft die Möglichkeit, sich geistig
zu entwickeln und sich selbst zu verwirklichen. Als vereinzeltes Individuum käme
der Mensch niemals zur Entfaltung seiner Anlagen - er hätte noch nicht einmal
eine Sprache.
Letztlich liegt das Ziel eines jeden Menschen, sein Glück (griech.
εὐδαιμονία, lat. beatitudo) zu erreichen. Dieses Glück, das neben dem Wohl auch
Seligkeit, Wohlfahrt, Vervollkommnung, Selbstverwirklichung und Seinsvollendung
beinhaltet, beschreibt einen Zustand, bei dem man von jedem Übel frei ist und
alle Bedürfnisse dauernd, anhaltend, auf immer befriedigt findet: „Wenn wir das
Wort `glückselig´ verwenden, so hat es gar keine andere Bedeutung als eben die
einer zusammengefassten Aufhäufung der Güter unter Abtrennung von allem Übel“
(Cicero, Gespräche in Tusculum, 5. Buch, §28).
Quadragesimo anno (1931) |
Es war schließlich das päpstliche Lehrschreiben "Quadragesimo
anno" (1931), das sich auch dem Thema widmet, auf welchem Weg der Einzelne sein
Glück am besten erreichen kann und das in diesem Zusammenhang erstmals den
Gedanken des „Subsidiaritätsprinzips“ entfaltete.
Einzelwohl und Gemeinwohl sind hier nun wechselseitig
aufeinander bezogen. Das Gemeinwohl wiederum ist dann erfolgversprechend
eingerichtet, wenn die Individuen in größtmöglicher Freiheit und Mitverantwortung
an den gesellschaftlichen Teilgruppen (z.B. Familie, Betrieb, Partei, Sportclub,
Kirche usw.) beteiligt sind, denn es ist die die Selbstinitiative und der aus
freiem Antrieb geleistete Einsatz, der dem Einzelnen hilft, seine
Persönlichkeit zu entfalten und so Glück zu verschaffen. Neben diesem
personalen Aspekt ist das eigenständige Handeln unter Ausnutzung der in jedem
Einzelnen steckenden schöpferischen Kräfte auch ökonomisch betrachtet grundsätzlich
am wirkungsvollsten.
Was also das Individuum oder kleinere gesellschaftliche
Teilgruppen aus eigener Kraft vollbringen können, das darf ihnen nicht entzogen
und übergeordneten Stellen zugewiesen werden. Vielmehr müssen sämtlichen
Aufgaben dort erledigt werden, wo sie anfallen. Wenn dabei Probleme auftauchen,
dann müssen sie zunächst auf jener Ebene aus dem Weg geräumt werden, auf der
sie auch entstanden sind. Erst wenn dies nicht zu bewältigen ist, darf durch
Hilfe "von oben“ eingegriffen werden. Letztlich geht es darum, das
Individuum (oder die gesellschaftliche Teilgruppe) in ihren selbstverantwortlichen
Mitwirkungsmöglichkeiten vor Bevormundung zu schützen.
Die Aufgaben müssen dort erledigt werden, wo sie anfallen. |
So dürfen also weder der Einzelne noch die Teilgruppen
einfach bürokratisch und von
oben nach unten befehlend verwaltet und beherrscht werden. Die Einzelnen
und Teilgruppen dürfen ihrerseits aber auch nicht die anstehenden Aufgaben, die
sie aufgrund ihrer eigenen Kräfte und Kompetenzen selbst ordentlich lösen
können, einfach von unten nach oben abschieben und so der Gesellschaft
aufgebürdet.
Der beste Beistand der Gesellschaft für ihre Mitglieder ist
somit die Hilfe zur Selbsthilfe. Denn für die Selbstverwirklichung des
Einzelnen ist nichts vorteilhafter, als das positive Erlebnis einer selbst
vollbrachten Leistung. Die Hilfe zur Selbsthilfe wird dem hilfsbedürftigen Einzelnen
vom jeweils am nächsten stehende Glied geleistet, denn seine Unterstützung hat
im Regelfall am wenigsten den Zuschnitt der Fremdhilfe und kann daher nicht nur
sachkundig, sondern auch ohne Umwege zielgerichtet und sparsam – modern
gesprochen ressourcenschonend – geleistet werden. Schließlich kennt jeder die
Probleme seines unmittelbaren Aufgabenkreises normalerweise am besten.
Selbstverständlich darf das Subsidiaritätsprinzip nicht zum Selbstzweck missbraucht werden. Wo also sachkundige Einzelne – z.B. ein Arzt oder ein Schulleiter – oder gesellschaftliche Teilgruppen – z.B. ein Rechenzentrum oder eine Bibliothek – tadellose Problemlösungen für das individuelle und gemeinsame Wohl erbringen, darf diese zielgerichtete Gestaltung der Abläufe nicht einem schwatzsüchtigen Selbstverwaltungskörper, der meist noch aus parteiischen Stümpern zusammengesetzt ist, übertragen werden, denn dies führt letztlich nur zu einer gemeinwohlschädigenden Prinzipenreiterei.
Selbstverständlich darf das Subsidiaritätsprinzip nicht zum Selbstzweck missbraucht werden. Wo also sachkundige Einzelne – z.B. ein Arzt oder ein Schulleiter – oder gesellschaftliche Teilgruppen – z.B. ein Rechenzentrum oder eine Bibliothek – tadellose Problemlösungen für das individuelle und gemeinsame Wohl erbringen, darf diese zielgerichtete Gestaltung der Abläufe nicht einem schwatzsüchtigen Selbstverwaltungskörper, der meist noch aus parteiischen Stümpern zusammengesetzt ist, übertragen werden, denn dies führt letztlich nur zu einer gemeinwohlschädigenden Prinzipenreiterei.
Literatur: Pius XI.: Enzyklika QUADRAGESIMO ANNO (1931)